– Augenmerk auf Nazistrukturen im Raum Göttingen –
In Göttingen sind Rechtsradikale und andere „ausländerfeindliche“ Gruppen zur Zeit selten anzutreffen. Dies sah früher anders aus. Noch Ende der 80er Jahre wurden Migrant_innen, alternative Jugendliche oder Linke regelmäßig von Faschist_innen in der Innenstadt angegriffen. Nach vielen Protesten der Linken, teilweise militanten Aktionen der autonomen Antifa und steigendem Druck trotz zunehmender Repression gegen Antifaschist_innen, zog sich die Naziszene zurück. Seit 1990 gibt es kaum einen gesellschaftlichen Boden für Nazis in Göttingen. Verschiedenste linke Gruppen arbeiten vehement daran, dem offenen und (schwer greifbaren) gesellschaftlichen Rassismus etwas entgegen zu setzen, um rassistischen Gruppierungen gänzlich den Boden zu entziehen.
Doch wie sieht es überhaupt in Südniedersachsen aus? Was tut sich im Umfeld Göttingens? Wohin ist die rechte Szene ausgewichen? Ist Göttingen unantastbar?
Im April 2005 gab es in Verden einen Naziaufmarsch, diesem folgte ein weiterer im Juni 2005 in Braunschweig. Die Naziaufmärsche konnten nur mit polizeilicher Begleitung vonstatten gehen und wurden von Gegendemonstrant_innen stark eingeschränkt. So auch in Göttingen im Oktober 2005: Etwa 5000 Gegenaktivist_innen hinderten die ca. 200 Nazis mit einer Demonstration, Blockaden und brennenden Barrikaden daran, die geplante Route durch die Innenstadt zu nehmen und zwangen sie nach 250 Metern zur Aufgabe.
Auch 2006 gab es drei Anläufe von Nazis, in Göttingen Aufmärsche bzw. Kundgebungen zu veranstalten. Mehr als zwei von einem martialischen Polizeiaufgebot abgeschirmte Kundgebungen auf dem Bahnhofsplatz gelangen ihnen nicht.
Mitte 2007 trafen sich Nazis aus NPD und freien Kameradschaften in Scharzfeld im Harz weitgehend unbehelligt. 40 Kilometer südlich von Göttingen in Fretterode existiert ein Nazi-Treffpunkt in dessen Umfeld sich die aktive „Kameradschaft Northeim“ aufhält. Es existiert nach wie vor eine offene Naziszene in der ländlichen Region um Göttingen, seien es der Harz oder das Eichsfeld, Northeim oder das Weserbergland. Aktuell stellt der Südharz eine Schwerpunktregion der Naziszene in Niedersachsen dar.
Seit 2008 versuchen Nazis verstärkt, Treffpunkte in Göttingen, wie Beispielsweise in der Tabledancebar „Strip/Moon Light“, zu etablieren. Dies konnte bisher durch antifaschistischen Widerstand eingeschränkt werden. Im Novemder 2008 kam es zu einem Schusswaffenagriff von Nazis im „Strip/ Moon Light“. Die Nachfolgenden Hausdurchsuchungen der Polizei bei ca. 30 rechtsradikalen Personen in Südniedersachsen förderten u.a. weitere Schusswaffen und Munition zu tage. Zudem brannte im selben Jahr ein Afro-Shop in Göttingens Innenstadt ab. Diesem Brand ging rassistische Hetze voraus.
Am 4.2.2011 wurde ein Nazi und Holocaustleugner von Göttinger Antifaschist_innen geoutet. Dieser studierte Medizin an der Universität Göttingen. Er ist war drei Jahre zuvor unter dem Nickname „Priess“ im rechten Internetforum „Thiazi“ aktiv, in dem er seine rassistischen, geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Ansichten verbreitet. Die Staatsanwaltschaft Göttingen leitete gegen den Nazi ein Verfahren wegen Verdachts auf Volksverhetzung ein. Dies macht deutlich was schon lange klar war: Nazistrukturen stellen für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, eine ernstzunehmende Gefahr dar und sie finden sich auch im unmittelbaren Umfeld.
Auch Burschenschaften sollten im rassistischen Kontext nicht außer Acht gelassen werden. Mehr dazu findet ihr in dem Artikel „Vorsicht, Zimmer frei!“ auf dieser Seite.
Fazit: Gerade angesichts der Enttarnung des Nazis an der Medizinischen Fakultät wäre es einfältig, anzunehmen, dass man hier in Göttingen mit Neonazis und Rassismus nichts zu schaffen hätte. Selbst die zahlreichen antifaschistischen Strukturen hier in Göttingen schützen nicht vor rassistischen Gedanken, Anfeindungen und Übergriffen. Deshalb ist es wichtig, nicht die Augen davor zu verschließen. Alltäglicher struktureller, gesellschaftlicher und offener Rassismus müssen bekämpft werden! Hier und Überall! Auch in Göttingen!
Hinweis: Infomaterial zu Nazistrukturen und -aktionen kannst du bei der BGMED oder im Roten Buchladen bekommen. Außerdem findest du aktuelle Infos und Termine in der „GöDru – Göttinger Drucksache.